COENOTUR: Praktiken und Netzwerke der martinischen Klostergemeinschaften in Tours von der Spätantike bis ins 13. Jahrhundert

Der vorliegende Katalog stellt eine Bestandsaufnahme aller bekannten, überlieferten Handschriften aus den Skriptorien von Tours da. Im Rahmen des von der DFG und der ANR geförderte Projekts COENOTUR, das gemeinsam von der Universität Hamburg und der Université de Tours durchgeführt wird (Projektleitung: Prof. Dr. Philippe Depreux in Hamburg und Prof. Dr. Elisabeth Lorans in Tours), sind die Beziehungen zwischen den verschiedenen religiösen Gemeinschaften aus Tours untersucht worden. Für eine Einschätzung der Bedeutung der geistlichen Einrichtungen in Tours und ihrer Stellung im Frankenreich und darüber hinaus ist eine Untersuchung der dort produzierten Handschriften unentbehrlich. Im Zuge der karolingischen Reformen entwickelte sich mit der karolingischen Minuskel eine neue Schrift, die dazu beitrug, dass sich Texte in klarer und gut lesbarer Form im gesamten karolingischen Einflussgebiet ausbreiteten. Das Skriptorium des Kanonikerstiftes von Saint-Martin in Tours nutzte diese Schrift und entwickelte sich zur Zeit des Abbatiats von Alkuin, einem engen Vertrauten Karls des Großen, zu einem Zentrum der Buchproduktion. Das zentrale Produkt dieses Skriptoriums stellen mit Sicherheit die prachtvollen Pandekten, das heißt vollständige Bibeln in einem Kodex, dar. Heute wird davon ausgegangen, dass das Skriptorium von Saint-Martin in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts jährlich circa zwei solcher Prachtbibeln hervorgebracht hat. Diese Vollbibeln versuchten nicht nur den Text der Bibel zu vereinheitlichen (in Form der sog. Alkuin-Bibel), sondern strebten auch eine relative Gleichheit der äußeren Form an, was es uns heute ermöglicht, die Produkte dieser Schreibschule besonders gut zu erkennen. Neben den Bibeln produzierte Tours zahlreiche weitere Handschriften, die sich im gesamten Raum des karolingischen Herrschaftsgebiets verbreiteten und noch 200 Jahre später eine große Wirkung auf die Buchproduktion entfalteten.

Über 300 dieser Handschriften aus Tours sind bis heute überliefert und finden sich in der vorliegenden Datenbank. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts befassten sich Edward Kenner Rand (in Publikationen aus den Jahren 1929 und 1934) und Wilhelm Köhler (1930) mit den Produkten aus Tours und erstellten jeweils einen Katalog. Durch neuere Forschung entwickelte sich dieser Katalog weiter, wurde erweitert und korrigiert. So bieten die Untersuchungen von Bonifatius Fischer (1971) einen besonderen Einblick in die Bibelproduktion, die durch die Arbeiten von Rosamund McKitterick und besonders David Ganz (beide 1990) ergänzt wurden. Der monumentale Katalog von Bernhard Bischoff (1998-2014) zu den gesamten Karolingischen Handschriften fügte der Liste zahlreiche Handschriften hinzu. Diese Kataloge, ergänzt um zahlreiche Einzelstudien, bilden den Ausgangspunkt der vorliegenden Datenbank. Alle dort aufgeführten Handschriften finden sich der Vollständigkeit halber in der Datenbank, auch wenn sie heute nicht mehr als aus Tours stammend angesehen werden. Ein ausführlicher Kommentar ergänzt die jeweilige Beurteilung.

Neben den Ergebnissen der neueren Forschungen wurden zahlreiche der Handschriften durch persönliche Begutachtung in den modernen Bibliotheken einer neuen Bewertung unterzogen. Insbesondere die Bibliothèque municipale in Tours, die Bibliothèque nationale in Paris, die Staatsbibliothek in Berlin und die vatikanische Bibliothek in Rom sind hierzu bereist worden. Neben einer erneuerten paläographisch und kodikologischen Untersuchung wurden auch moderne Methoden aus den Naturwissenschaften verwendet. Mit Hilfe von Infrarotreflektografie und Röntgenfluoreszenzanalyse wurde die Zusammensetzung der verwendeten Tinten durch Dr. Zina Cohen in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Materialforschung untersucht. Diese Ergebnisse sind in die Beurteilung mit eingeflossen.

Einen Schwerpunkt der Untersuchung stellte die Frage nach der Herkunft der Handschriften innerhalb von Tours dar, also Saint-Martin oder Marmoutier. Eine gesicherte Zuordnung ist in seltenen Fällen möglich, da wo es begründete Vermutungen gibt, wurde diese in den Katalog mit aufgenommen.

Jérémy Winandy

Technische Umsetzung: Dr. Matthew Munson

Weitere Informationen zum Projekt finden Sie HIER.